Freitag, 29. Juli, 21.30 Uhr theremin_russiawithlove
Live: Barbara Buchholz (Theremin, Sampler) - Pedda Borowski (Overhead-Projektion)
Anfang der 20er Jahre wurde vom russischen Physiker Lew Thermen ein Musikinstrument erfunden, daß die Zuhörerschaft in Erstaunen versetzte: Ein Kasten mit zwei Antennen - das Theremin.
Damals das erste elektronische Musikinstrument überhaupt, ist es bis heute aufgrund seiner berührungslosen Spielweise einzigartig geblieben. Ein schwaches elektrisches Feld umgibt die Antennen, und wer hineingreift, macht auch schon Musik: Die Töne steigen auf und ab, je nach Abstand der Hand zum Metall. Der Klang erinnert an Geige, singende Säge, menschliche Stimme, eine Mischung aus elektronischer und menschlicher Ausdrucksform - "zum Sterben schön".
Anschließend Film: "Theremin: An Electronic Odyssey" (von Steven M. Martin, USA 1994)
Der Theremin ist ein Instrument, das tönt, ohne berührt zu werden, ein gespenstischer Geräuscherzeuger, der in den 20er Jahren Konzertsäle füllte und wahre Virtuosen hervorbrachte, bevor sein einzigartiger Sound von Hollywood und später der Rock'n'roll-Industrie entdeckt wurde. Theremin - An Electronic Odyssee erzählt die unglaubliche Geschichte von Prof. Leon Theremin (Lew Thermen), der 1938 während einer Konzerttournee in den USA vom KGB gekidnappt und in russische Forschungslabors verschleppt worden war und den der Filmemacher Steven Martin nach jahrzehntelangem Rätsel um seinen Aufenthaltsort wiedergefunden hat.
www.barbarabuchholz.com und www.peddaborowski.com
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Sonnabend, 30. Juli, 17 Uhr Gypsy Brass Music:
'King' Naat Veliov & The Original Kocani Orkestar
Naat Veliov (tp, voc) - Elsan Ismailov (sax, voc) - Orhan Veliov (tp, voc) - Dalkran Asmetov (tu) - Hikmet Veliov (tu) - Ali Memehdovski (darabouka) - Redzaim Juseinov (perc)
Die Roma-Musiker des über hundertjährigen Familienunternehmens der Veliovs aus dem mazedonischen Ort Kocani verzichten auch in ihrem neuen Programm nicht auf ihre schon legendären Hochgeschwindigkeitsversionen alter Tänze und traditioneller Rhythmen aus Mazedonien, Griechenland und Bulgarien, der Türkei und Indien, ihre virtuosen Soli und hinreißenden Gypsy-Adaptationen von Mambo, Samba, Rock, Swing und Jazz.
www.artworksberlin.de/veliov
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Rezension, 2.8.05, Märkische Oderzeitung
Hogwarts, Lenin und reichlich Energie
Mystischer Abend im Eberswalder Sommerfestival "purpur"
Von Thomas Melzer
Hogwarts, Harry Potters Zauberschule, schien am späten Freitagabend im Forstbotanischen Garten Eberswalde zu liegen.
Auf einer Lichtung, unter schweren Regenwolken, trafen sich hier 150 Wesen, um den Klängen eines geheimnisvollen Instruments zu lauschen, das Professor McGonogall erfunden haben könnte: das Theremin. Im Aussehen einem Stehpult ähnlich, aus dem zwei Antennen ragen, ist es das einzige Musikinstrument, das völlig berührungslos gespielt wird. Barbara Buchholz, die Musikerin, wirkte wie eine Dirigentin, während sie mit teils filigranen, teils weitausholenden Bewegungen ihrer Hände und Finger die von beiden Antennen entsandten elektrischen Felder zu Tönen modulierte.
Der entstehende Klang erinnert an eine singende Säge, weniger wohlwollend wird er gelegentlich auch verglichen mit "einer Mischung aus billigem, schlechten Cello und einer heiseren Alt-Sängerin". Barbara Buchholz spielt das Theremin live über vorproduzierte Loops und Samples. Gewisperte russische Sprachfetzen sind da zu hören, jazziges, aber auch schlagerhafte easy-listening Musik im Stile Burt Bacharachs. Es ist frappierend, wie eindringlich die aus einer augenscheinlich physikalischen
Versuchsanordnung stammenden Klänge als menschliche Ausdrucksform wirken. Und an keinem Ort läßt sich diese außergewöhnliche Musik besser vorstellen als hier, zwischen hohen Bäumen, zahllosen flackernden Gaslämpchen, im Rahmen des traditionellen Eberswalder Sommerfestivals "purpur".
Einen besonderen Schauwert erlangte die Vorstellung zudem durch die Overhead-Projektionen des bildenden Künstlers Pedda Borowski. Wurde Barbara Buchholz zu Beginn eines jeden Titels vom nackten Licht zweier Projektoren bestrahlt - vielen noch als "Polylux" bekannt -, entstanden daraus live folien- und somit bühnenfüllend phantasievolle Farbgestalten. Mit breitem Pinsel wurde da gewischt, die Künstlerin scheinbar von fallenden Samenkörnern bedeckt oder mit wenigen Strichen in einen Schmetterling verwandelt. Ineinander verlaufende Flüssigkeiten entwickelten eine psychedelische Wirkung wie bei einem Pink Floyd-Konzert Ende der sechziger Jahre.
Es war also vieles anders als sonst, wenn Muggel zusammenkommen, um Musik zu machen und zu hören, und doch vermag letztlich ein Argument zu überzeugen, warum das Theremin nicht von Joanne K. Rowling, sondern vom russischen Physiker Lew Thermen erfunden wurde: es gibt keinen Strom auf Hogwarts. Strom aber, das wußte schon Lenin, ist - neben der Sowjetmacht - nicht nur Grundbedingung für den Kommunismus, sondern zum Funktionieren des Theremiens. Doch während Lenin - dem das Instrument 1922 vorgestellt wurde - Thermens gesellschaftspolitische Rolle möglicherweise überschätzte, kam der berühmte amerikanische Instrumentenbauer Robert Moog 80 Jahre später zu der Einschätzung, Lew Thermen habe mehr für die Entwicklung der elektronischen Musik geleistet als jeder andere. All dies erfuhren die Eberswalder purpur-Besucher in dem Film "Theremin: An Electronic Odyssey", der nach dem Buchholz-Konzert gezeigt wurde. Auch hier wurde es wieder spannend und mystisch, als sei dies die eigentliche Programmatik des Abends.
Thermen hatte sich 1928 in den USA niedergelassen und dort mit seinen Auftritten - in der Carnegiehall u.a. mit einem zehnköpfigen Theremin-Orchester - großen Erfolg. Bis er eine schwarze Ballettänzerin heiratete, nach diesem gesellschaftlichen Tabubruch ignorierte wurde und deshalb 1938 weitgehend unbemerkt vom KGB in die Sowjetunion entführt werden konnte. Dort verbrachte er viele Jahre in Arbeitslagern für gefangene Wissenschaftler, wo er u.a. für den KGB ein Gerät entwickelte, mit dem sich die Vibrationen von Fensterglasscheiben in Sprache umwandeln lassen. Er galt im Ausland bereits lange Jahre als tot, ehe er zufällig von seiner früheren Meisterschülerin Clara Rockmore lebendig angetroffen wurde.
Nach Spannung und Regen des Freitagabends bot "purpur" am Sonnabend ein Kontrastprogramm: Sonne und fröhliche Party mit "King" Naat Veliov & dem Original Kocani Orkestar. Das Roma-Ensemble der Veliovs ist ein Familienunternehmen mit über 100jähriger Tradition. So stoisch und cool die sieben Männer der Gypsy Brass Band mit ihren kurzen Hosen und Adiletten auf der Bühne auch wirken, ihre Musik ist kraftvoll und exzessiv. Sie brauchen fürwahr keinen elektrischen Strom! Fast drei Stunden lang schmetterte es ausgelassen über die Lichtung, ein Urlaubstag auf dem Balkan, der die Eberswalder ihre Zurückhaltung vergessen und tanzen ließ. (Foto in der Rezension: Thomas Burckhardt)
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