jazz in e.

Ein Festival aktueller Musik. Jedes Jahr zu Himmelfahrt. In Eberswalde.

Rezensionen 2005


Frickel-Frust und betörende Schönheit - "Jazz in E." ging mit Besucheransturm zu Ende Von Thomas Melzer
Nicht Sponsor, sondern Nutznießer von "Jazz in E." sei sein Haus, sagte Sparkassenchef Josef Keil zur Festivaleröffnung, und: "Wir begehren Aufnahme in ihren Bund." Das Investment in ein Jazzfest ist stark risikobehaftet, wie Keil am gefürchteten "Frickel-Freitag" erfahren mußte. Konnte man in den Vorjahren den experimentellen Vorführungen an diesem Sendeplatz immerhin noch irgendwie den Status von Musik zubilligen, erlebte das Publikum in diesem Jahr eine halbstündige Demonstration von Schwingungsphysik: Posaunist atmet durch sein Instrument aus, Computerbediener fängt die Signale ein und schickt sie nach Strombehandlung wieder weg. Das Publikum wirkte mehrheitlich ratlos. Mochte derlei elektroakustische Improvisation zuletzt bei der Club Transmediale in Berlin als ästhetisch vorausweisend gegolten haben, in Eberswalde war hier die Aufnahmegrenze des Publikums deutlich überschritten. Etwas weniger programmatischer Wagemut wäre dem Festival zukünftig dienlicher, ohne es schon beliebig zu machen. Josef Keil jedenfalls hatte den Bund in der Pause verlassen und verpaßte dadurch den wunderbaren Auftritt der Berliner Kapelle "Lax". Nun standen Musiker auf der Bühne, in denen Feuer brennt, die aus ihren Instrumenten Energie verschleudern, gleichwohl dabei konzentriert zusammenspielen. Das ist Jazz! Intelligent und emotional zugleich. Die Klangdichte war schon hoch, da gesellte sich der Posaunist Johannes Bauer zur Band. Ohne je miteinander geprobt zu haben, erspürten die fünf Musiker in kurzer Zeit ihre gemeinsame Wellenlänge und sorgten für ein denkwürdiges Finale dieses Abends. Anderntags auf der Autobahn. Im Bus die junge Berliner Band "Olaf Ton": "Fahrensmann, mach's Radio an, Bundesliga hör'n mit Sabine Töpperwien!" In Eberswalde ist dann auch Bundeligastimmung - das Wald-Solar-Heim pickepacke ausverkauft! "Olaf Ton", Durchschnittsalter 30, gewandet in disparate Fußball-Leibchen, stürmt die Bühne wie der FSV Mainz 05: ungestüm, kraftvoll, gewitzt. Ihre Titel tragen Namen wie "Olaf Ton und das dunkle Vermächtnis der goldenen Kuh" und so überdreht klingen sie auch. Es wird wohl das ewige Geheimnis der Berliner Musikhochschule "Hanns Eisler" bleiben, wie man dort Hauttyp I und brasilianisches Temperament zusammenfügt. "Furios" ist das passende Attribut für dieses Konzert. Wald-Solar-Heim-Chef Simon, diesmal hinterm Tresen zugange, kann nun gewiß sein, daß die Statik seines Hauses in Ordnung ist. Die abwesende Sparkasse Barnim verpaßt leider, wie kleiner Einsatz hier hohe künstlerische Rendite einfährt. Hohen Hör-Wert gibts auch im zweiten Teil des Abends, die Musik jedoch ist ganz anders. "Novotnick 44" aus Köln spielen sinfonischen Breitwand-Jazz, mal flirrend, mal elegisch. Sie schöpfen ihre Musik aus osteuropäischer Folkore, und wenn sie spielen, tun sich Klanglandschaften auf. Bläsersätze von solch betörender Schönheit wurden lange nicht gehört. Beide Konzerte dieses Abends wurden vom rbb-Kulturradio aufgezeichnet, die Sendetermine stehen noch nicht fest. Die MOZ wird sie rechtzeitig vermelden. Nach vier langen Festivalabenden mit interessanten Begegnungen und musikalischen Disputen geriet der traditionelle Jazz-Frühschoppen am Sonntag zu einer Entspannungsübung für die Eberswalder Musikfreunde und das übernächtigte Festivalteam. "Night Train" aus Berlin swingte sich im Weinkontor durch ein Klassiker-Programm. Die Stimmung entsprach dem Titel des Eröffnungsprogramms mit Sauer/Wollny, "Melancholia". Schon im Juli, zum Weltmusikfestival "purpur" im Forstbotanischen Garten, wird man sich wiedersehen.

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