jazz in e.

Ein Festival aktueller Musik. Jedes Jahr zu Himmelfahrt. In Eberswalde.

Rezensionen 2000


Märkische Oderzeitung, 2. Juni 2000
Ein genüßlicher Triumph der Langsamkeit
Das australische Trio "The Necks" eröffnete die 6. Eberswalder Jazztage
Stille - eine lange Minute für Ruhe, Konzentration und Sammlung. Kein schlechter Anfang für ein Konzert des Avantgarde-Jazz. Doch wer denkt, die drei Musiker in der Kleinen Konzerthalle in Eberswalde legen danach um so intensiver los, der kennt "The Necks" nicht. Die Australier in ihren schwarzen T-Shirts und weiten Hosen sehen zwar aus wie Schwerstarbeiter, lassen sich mit der Entwicklung ihrer Musik aber viel, viel Zeit. 60 Minuten dauern die Stücke im Schnitt; da fällt das Viertelstündchen, daß sich die Musiker nehmen, um zusammenzufinden, nicht ins Gewicht. Zumal solche Tempoverweigerung durchaus Methode hat. Denn das "Necks"-Eröffnungsstück mit seinen ständig wiederholten und minimal veränderten Tonfolgen gewinnt ziemlich genau in der Mitte doch noch eine ungeahnte Wucht. Dann hat Kontrabassist Lloyd Swanton seine ursprüngliche Dreiton-Folge um einige entscheidende "funky" Elemente erweitert, Pianist Chris Abrahams seine Akkord-Repetitionen ins hypnotisch Schwebende gesteigert; und Schlagzeuger Tony Buck, der das Geschehen zunächst mit simplen Viertelschlägen unterlegt, bewegt sich mit seinen treibenden Rhythmen und seinem klangfarbenreichen Trommelspiel immer mehr ins Zentrum dieses doch ziemlich bizarren Musikereignisses. Und so erleben die Besucher des Auftaktkonzertes der vier Tage "Jazz in Eberswalde" den Triumph der Langsamkeit: Was unscheinbar beginnt, entwickelt eine Kraft, der man sich kaum entziehen kann. Und was zunächst eine Art Protest gegen routinierte Jazz-Emotionalität hätte sein können, wird dann selbst noch ungeheuer emotional. Nur eben auf ganz eigene, die höchst originelle "Necks"-Art. "Konsequente Musik" nannte dies Festival-Organisator Udo Muszynski vor Konzertbeginn. Insofern war das Konzert von "The Necks" der ideale Auftakt für ein Jazzfest, das mittlerweile im 6. Jahr seinen ganz eigenen Weg geht, und das auf ebenfalls sehr konsequente Weise. Das Festival wolle ein "Spektrum des aktuellen Jazz" bieten, so Muszynski. Ein großes Ziel, gewiß. Doch die Eberswalder Veranstalter - Begegnungszentrum Wege zur Gewaltfreiheit" und Kulturamt - kommen ihm trotz bescheidener finanzieller Mittel erstaunlich nahe. Glück beim Buchen der Musiker gehört dazu, aber vor allem Geschick und Sachverstand. So hat Muszynski den australischen Schlagzeuger Tony Buck schon vor Jahren für das Festival entdeckt. Mittlerweile ist er eine tragende Säule des Programms. Fällt die Musik von "The Necks" wegen der eigenwilligen Art, Intensität zu erzeugen, aus dem Rahmen, so gilt das für Claus van Bebber schon wegen der Wahl seiner Instrumente. Besser gesagt: Klangerzeuger; denn beim Konzert heute Abend fährt er mehrere Schallplattengeräte gleichzeitig ab und spielt damit freie Jazzmusik der wirklich ganz anderen Art. Noch auf einen weiteren vermeintlichen Höhepunkt des Vier-Tage-Programms sei an dieser Stelle hingewiesen: den Vibraphon-Abend am Samstag, den unter anderem das Duo Neffe-Bauer bestreitet. ORB- und SFB-Radio zeichnen auf. (Michael Gabel)

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