Märkische Oderzeitung / Feuilleton / 21. Mai
2007
Die integrative Kraft eines Jazzfestivals - "Jazz in E."
überzeugte mit klarem Profil Von Thomas Melzer
Die ehemals stadtbildbestimmenden Leuchtbuchstaben eines alten
Eberswalder Kaufhauses füllten den Bühnenhintergrund: Kontakt. Es
war mehr als ein Gag, es war der Programmcode dieses 13.
Eberswalder Festivals "Jazz in E.". Beziehungen, innere
Verbindungen herzustellen ist Organisator Udo Muszynski an den
vier Festivaltagen erneut in vielfältiger Weise gelungen. Nicht
nur, weil die Bewahrung der alten Leuchtschrift eine Geste für die
Verwurzelung des Festivals in der Stadt ist, wurde das Angebot,
sich aus Anlass eines Jazzkonzerts in der Stadtmitte zu treffen,
wieder einmal überzeugend angenommen. Mehr als 400 Besucher kamen
zum Abschlusskonzert auf das Oberdeck eines noch nicht eröffneten
Parkhauses - auch diese Ortswahl steht sinnbildlich für die
Fühlungnahme mit neuen städtischen Räumen durch die
avantgardistische Musik. Ein Festival ist mehr als der Quotient von
fünf Konzerten mit acht Bands bzw. Solisten. Das Profil des
Eberswalder Festivals zeichnet sich zunehmend aus durch den klar
definierten Charakter der einzelnen Programmtage, der die Auswahl
für die Besucher berechenbar macht. So sind diesmal am
berühmt-berüchtigten "Frickelfreitag" - bestritten von "Tomorrow
Collective" und "Feld Neun" - nur zwei Zuhörer vor den an diesem
Festivalabend traditionell sperrigen, sich herkömmlichen
Hörgewohnheiten verschließenden Klängen aus dem Saal geflohen. So
wenige waren es noch nie. Für die zahlreichen Gebliebenen ist
dieser Teil von "Jazz in E." essentiell: Hier holen sie sich, einer
Impfung gleich, ihre Immunisierung gegen die Hits von vorgestern
bis heute, Kaufhausbeschallung und sonstigen Mainstream. "Kontakt"
steht auch für die integrierende, Dünkel überwindende Kraft dieses
Festivals. Keine andere Musikform vermag es, ein demographisch so
unterschiedliches Publikum zusammenzuführen. So geschehen
besonders auffällig beim Auftakt von "Jazz in E.", als Männer wie
Frauen, Vollzahler und Ermäßigungsberechtigte, Rathaus- und
Sparkassenchefs neben langhaarigen Pennälern im Wald-Solar-Heim
zusammenfanden. Der Saarländer Wollie Kaiser spielte mit seinem
Trio "Lithium 3" an diesem Kammermusikabend ausschließlich
Kom-positionen des Grunge-Rock-Pioniers Kurt Cobain. In einem
Konzert der Band "Nirvana" mit den Originalfassungen der Songs wäre
dieser Publikumsmix unvorstellbar gewesen. Die musikalische
Bewertung des Festivals kann nur eine subjektive sein. In einer
Musikform, die sich live - anders als etwa Pop oder Klassik - nicht
durch Reproduktion oder Interpretation von Klängen, sondern den
schöpferischen Umgang mit ihnen auszeichnet, sind es meist nicht
ganze Konzerte, sondern einzelne große Momente, die in Erinnerung
bleiben. Diese gab es, als am Abschlussabend die Sängerin Miss
Platnum und ihrer siebenköpfige Band mit kraftvollem Rhythm'n'Blues
das Parkdeck bedenklich zum Schwingen brachte. Sie gab es, als
Wollie Kaiser am Baßsaxophon zart tastend die markanten Riffs von
"Smells Like Teens Spirit" entwickelte, ihnen mit jedem Atemstoß
mehr Kraft und Größe verlieh, Baß und Schlagzeug einfielen und der
Song des toten Kurt Cobain berührende Lebendigkeit erlangte. Große
Momente auch, als Sina&Stucky, zwei international erfolgreiche
Mundartsängerinnen aus der Schweiz, auf einem skurril-trashigen
Super8-Film durch den Schnee zu einer Bergkapelle stapften, den
Vorgang links der Leinwand mit gregorianischer Schönheit besangen,
während rechts davon der Amerikaner John Sass, ein gütiger
schwarzer Hüne, eine so noch nie gehörte samtweiche Tuba spielte.
Wenn's denn sein muss: Dieses Konzert war wohl der Höhepunkt des
Festivals.
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