jazz in e.

Ein Festival aktueller Musik. Jedes Jahr zu Himmelfahrt. In Eberswalde.

Rezensionen 2001


Märkischen Oderzeitung, 25. Mai 2001
Körper-Seele-Musik
Heinz Sauer und Christopher Dell bei den 7. Eberswalder Jazztagen
Ein Ton flaniert durch Eberswaldes St.-Georgs-Kapelle. Rauchig ist er und er swingt. Er streift Christopher Dell, nimmt ihn mit auf einen Weg, von dem niemand weiß, wo er enden wird. Heinz Sauer spielt ihn auf seinem Tenorsaxophon. Der international bekannte Grenzgänger des Jazz wählte den Vibraphonisten Christopher Dell als Partner für sein Spiel während der 7. Eberswalder Jazzfesttage "jazz in e.". Die Kapelle ist weiß gekalkt, die Stuhlreihen sind sauber aufgereiht, Stufen führen zu den Musikern. Schon die Umgebung verheißt einen ungewöhnlichen Jazz-Abend. Es wird ein Abend im Unbestimmten zwischen Wissen und Nichtwissen, zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit, zwischen Emotion und Intellekt. Mit einer Musik, die interpretiert werden will - vom Publikum. Und sich doch so schwer interpretieren lässt, weil der eingeschlagene Weg selten bis zum Ende verfolgt wird, Andeutungen das Empfinden forttragen, während die Musiker schon ganz woanders sind. Das Publikum geht dabei nicht verloren. Es genießt Sauers schreiendes, rauchiges, verhaltenes, hervorbrechendes Spiel im Dialog mit Dell. In dem Vibraphonisten manifestiert sich der Rhythmus körperlich. Die Klänge des Vibraphons umtanzen das Saxophon, warten, erwarten es, wenn sie voraus-eilen, tasten sich gemeinsam mit ihm vor. Oder schlagen einen eigenen Weg ein - ohne den Kontakt je vollständig zu verlieren. Und das Publikum ist Zeuge, Interpret, Mitreisender. Es erkennt Fragmente von Thelonious Monks "'round about Midnight", und ist dann gespannt auf den Weg des Duos fort von der Tradition. Dell nennt das "Körper-Seelen-Musik", eine Musik des Dialogs, eine Musik, die das Publikum ständig zum Korrigieren der gerade erreichten Interpretation drängt. Sauer vergleicht sie mit einem Spaziergang, der als Flanieren beginnt, an Knotenpunkten zusammenführt, wo neue Themen gefunden werden. Völlig frei, weder Form noch Themen sind vorher festgelegt. Fest steht nur: "Wir wollen den Jazz verlassen. Wir haben ihn heute auch verlassen", sagt Sauer. Sauer kommt wie Dell aus dem Jazz. Er hat Physik studiert, die Musik autodidaktisch erobert. 1960 bis 1978 war er festes Mitglied der legendären Albert-Mangelsdorff-Combos, ebenfalls ab 1960 spielte und komponierte der 68-Jährige im Jazzensemble des Hessischen Rundfunks. Seit 1974 arbeitet er zunehmend mit eigenen Formationen. Daher kennt er den Kölner Dell, mit dem er schon in der Türkei und in Afrika zusammenspielte. "Heinz Sauer stand schon lange auf meinem Wunschzettel für eine Musikreihe in Eberswalde", sagt Udo Muszynski, Organisator des Festivals, das veranstaltet wird vom Eberswalder Begegnungszentrum und Kulturamt. Dass er ihn trotz des geringen Etats herlocken konnte, verdankt er dem Raum, in dem das Konzert stattfand. "Hier in der Kapelle braucht man kein Mikrofon. Hier klingt das Vibraphon aus sich heraus", begründet Sauer. Und das Publikum kann es hören. (Nadine Voß)

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