Märkische Oderzeitung / Barnim Echo / 29. Mai 2006
Mit Pauken und Trompeten - "Jazz in E." erweckte
Paul-Wunderlich-Haus zum Leben Von Thomas Melzer
Vielfältig sind die Rituale, aus einem neuen Haus die bösen Geister
zu vertreiben und die guten anzulocken. Dem Paul-Wunderlich-Haus
konnte in diesem Sinne nichts besseres passieren, als - drei Tage
nach dem Richtfest - die lebensfreudigen Geister ins Gemäuer
gepustet zu bekommen, die gute Jazzmusik stets begleiten. "Jazz in
E." wiederum, dem renommierten Eberswalder Festival, konnte nichts
besseres widerfahren, als im neuen Zentrum der Stadt die Meßlatte
auflegen zu dürfen, an der sich Kultur an diesem Ort zukünftig zu
orientieren hat. Das ist den Eberswalder Jazzaktivisten um Udo
Muszynski am Sonnabend eindrucksvoll gelungen. Zu ihrem
musikalischen Fest kamen so viele Besucher wie nie zuvor. Auch
zahlreiche prominente Gesichter waren im "Jazzclub für eine Nacht"
zu sehen, darunter Landrat Bodo Ihrke, Sparkassendirektor Josef
Keil, Schulleiter Friedhelm Boginski, Ralf Dieme vom
Unternehmerverband, FH-Professor Jürgen Peters und Künstler Andreas
Bogdain. "Kontakt" hieß symbolträchtig das Motto des Abends. Noch
findet es sich als längst erloschene Leuchtschrift am alten
Kaufhaus gegenüber; hundertfach auf den Beton des neuen Rohbaus
projeziert gab es vor, welche Hoffnung sich hier erfüllen soll. An
diesem Abend erfüllte sie sich mit Pauken und Trompeten. Die
achtköpfige "Top Dog Brass Band" aus Dresden marschierte zum
Auftakt durch das Publikum zur Bühne und nahm dabei buchstäblich
auch jene letzten Zweifler mit, die Jazz bislang als sperriges
Gefrickel für verkopfte Intellektuelle angesehen hatten. Schon nach
wenigen Songs wurde die Band für ihre kraftvolle, witzige
Darbietung bejubelt. Doch es blieb nicht so eingängig. Der Sänger
Michael Schiefel litt anfangs unter technischen Problemen und der
Sound der "Tiptons" aus den USA - vier Saxophone und ein Schlagzeug
- klang zunächst ungewohnt. Nicht wenige Besucher erlebten hier
wohl ihr erstes Jazzkonzert. Umso eindrucksvoller war es zu
erleben, wie im Laufe der einzelnen Auftritte Begeisterung und
Applaus zunahmen. Am Vormittag hatten es schon die Teilnehmer eines
zeitgleich zum Festival im Wald-Solar-Heim stattfindenden
Jazz-Seminars gewürdigt: Eberswalde sei um sein konzentriertes,
begeisterungsfähiges Jazzpublikum zu beneiden. Vielerorts sei
derlei kaum noch zu finden. Und auch die Musiker zeigten sich
dankbar. Eine strahlende Jessica Luri von den "Tiptons"
verabschiedete die Besucher nach dem Konzert eigens an der Tür. Doc
Wenz von den "Mighty Three" berichtete über die knapp zehnstündige
Anfahrt der Band in das ihnen völlig unbekannte Eberswalde. Kurz
vor der nächtlichen Ankunft im Wald-Solar-Heim hätten sie beinahe
einen Fuchs überfahren und sich dann gefragt, "wieviele Füchse und
Hasen hier wohl zu ihrem Konzert am Himmelfahrtsvormittag kommen
würden". Als sich anderntags der Saal vollständig füllte, kamen sie
aus dem Staunen nicht heraus. Die "Gutbuckets" aus den USA äußerten
den Wunsch, im Wald-Solar-Heim einen Jazz-Workshop für Eberswalder
Jugendliche durchführen zu können. Immer wieder erhielten die -
überwiegend ehrenamtlich arbeitenden - Eberswalder Jazzaktivisten
Komplimente für ihr Engagement. Es ist nicht zu unterschätzen,
welchen Ruf über eine Stadt Musiker nach solchen Erlebnissen ins
Land tragen. In Eberswalde selbst wird sich herumsprechen, daß
"Jazz in E." Nr. 12 so vielseitig und kurzweilig war wie noch kein
Festival zuvor. Es gab ein Hörspiel, die Musiker von "Gutbucket"
vertonten live zwei "Superman"-Trickfilme, Joe Sachse und Michael
Schiefel boten anspruchsvolle Solokonzerte, "Mighty Three" spielten
erdenschweren amerikanischen Bluesrock und "Lychee Lassie" coole
deutsche Großstadtmusik. Ihr Schlagzeuger Jost Nickel erklärte das
Besondere dieser Musik und des Festivals: "Wir hören genauso
konzentriert zu wie sie, weil wir meist am Anfang selber nicht
wissen, wie es ausgeht." Vielleicht sollten die einzelnen
Festivaltage zukünftig ein noch klareres Profil erhalten, um
gezielten Besuch nach Interessenlage zu ermöglichen. Schwellenangst
ist jedenfalls unbegründet, gerade auch für junge Leute. Am
Sonnabend lag das Durchschnittsalter aller Musiker kaum über 30,
das der Besucher dagegen deutlich höher. Es wären wohl einige junge
Leute mehr gekommen, wenn es nicht durch das - am traditionellen
Kalenderplatz von "Jazz in E." - zeitgleich angesetzte "Rock aus
E." einen Kannibalisierungseffekt gegeben hätte.
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